Freitag, 17. Januar 2014

Interview mit Anne Cherel über Danceability und Beweggrund


Hi Anne, ich finde es super dich als ersten Interview-Partner zu haben. Könntest du dich uns kurz vorstellen?

© Anne Cherel Rennes /Bretagne 2011
Mein Name ist Anne Chérel, ich bin vor 37 Jahren in Ettelbrück, Luxemburg unter recht komplizierten Umständen geboren. Sauerstoffmangel führte letztlich zu meiner körperlichen Einschränkung namens infantile Cerebralparese (ICP), bedingt durch eine irreversible Hirnschädigung, die mir meine Spastik und im Laufe der Jahre meinen Rollstuhl beschert hat.
Entgegen aller Selbstverständlichkeit der damaligen und auch der heutigen Zeit, bin ich im regulären Schulsystem beschult worden, was uns beide später in unserer Ausbildung zur Erzieherin zusammen brachte und mich anschließend zum Studium der Sprach- und Erziehungswissenschaften nach Trier, wo ich heute noch hause.


© Anne Cherel Rennes /Bretagne 2011


Wir zwei kennen uns ja schon länger und ich weiss dass du schon immer gern getanzt hast. Aber wie kamst du zu Danceability?

Wie du selbst schon erwähnst, entdeckte ich schon in den Kinderjahren meinen Faible für Musik und Tanz. Als Kind tanzte ich immer zu der elterlichen Jukebox, die bei uns zuhause Stand. Waren wir mit den Eltern zusammen in einer Kneipe, so war mein erster Gang immer zur Jukebox an der ich immer angelehnt vor mich hin wackelte und den Text mit trällerte.  Wie mir, wurde auch meinem Bruder die Musikalität vererbt, wir entwickelten mit den Jahren die gemeinsame Leidenschaft für Rhythmus und Musik auch wenn wir nie ein Instrument spielen lernten, außer meiner Stimme und meinen Körper für mich und die Konsolen und Platten für meinen Bruder.
Er nahm mich später mit auf die Piste und ich ließ mich von der Musik transportieren, vergaß meine Fortbewegungsart und alles um mich herum und tauchte nur in diese Energie sich bewegender Körper von denen so manche/r mich ansah als wäre ich das 8. Weltwunder… Und mit den Jahren wurde mir bewusst, was mir als Kind schon recht deutlich erschien… jeder kann tanzen!



 © Dorf int'l - BewegGrund 2013/2014 Beweggrund 
Jahre später, es war 2002, als ich nach Trier zum Studieren gezogen war, gerieten eine Freundin und ich, getrieben von unserer Neugierde, in eine Abendveranstaltung in der Trierer Tuchfabrik. Dort gastierten zur Zeit Alito Alessi und sein Haupttänzer Emery Blackwell.  Der Hauptakteur, Tänzer und Choreograph und sein Kollege tanzten Exzerpte aus ihrem damals aktuellen Stück  und luden anschließend das Publikum zum Austausch ein.
Als ich Alito und Emery sah, fiel ich nahezu vor Staunen aus dem Stuhl und überhaupt durchlebte ich während ihrer Performance Emotionen, die mich transportierten wie mich noch nie zuvor etwas berührt hat, was ich als Zuschauer „konsumierte“. Vor allem Emery - Spastiker wie ich, jedoch in viel ausgeprägterer Form – verblüffte mich in seiner Bewegungsvielfalt und Eleganz und die Kommunikation zwischen beiden Tanzpartnern war so klar, so gleichberechtigt und eben, wie ich sie in der „realen“ Welt zwischen sogenannten behinderten und nicht-behinderten – und vor allem in der Tanzwelt- noch nicht erlebt hatte! Ich wollte mehr Wissen, darüber lernen, mehr erfahren. 
So kam das Wort DanceAbility in mein Gehörgang und Sprachrepertoire und ich zu DanceAbility über das heutige Ensemble BewegGrund in Trier. Denn es stellte sich heraus, dass sich einmal wöchentlich eine Gruppe zum Tanzen in der Tufa traf und es noch freie Plätze gab! 
Meine Freundin und ich gingen hin und lernten sehr viel mehr über diese Tanzart. 


Wie würdest du Leuten, welche noch nie von Danceability gehört haben, es beschreiben? 

DanceAbility basiert auf der Improvisation. Jede Bewegung, ob groß, ob klein, sei es nur ein Augenzwinkern oder eine Pirouette, hat ihren Platz in den jedem Tänzer eigenen, individuellen  Bewegungsmöglichkeiten. Ob ich nun sitze oder stehe, liege oder hocke… es gibt kein richtig oder falsch.


DanceAbility ist geprägt von der Kontaktimprovisation. In dieser Tanzform, bewegen sich zwei oder mehr Menschen miteinander, teilen Gewicht, folgen einem gemeinsamen Kontaktpunkt und kommunizieren tänzerisch miteinander. Auf diese Weise entsteht ein Tanz, bei dem Menschen mit einer unterschiedlichen Vielfalt an Bewegungsmöglichkeiten eine gemeinsame Basis künstlerischen Ausdrucks entdecken. DanceAbility ist dem zeitgenössischen Tanz zuzuordnen.



DanceAbility als Tanzform wurde von Alito Allessi und Karen Nelson vor mittlerweile 25 Jahren in Eugene, Oregon, USA entwickelt und ist inzwischen eine weltweit verbreitete Tanzform und Methode, bedeutend für den zeitgenössischen und inklusiven Tanz. Hauptsächlich erst in Nord- und Südamerika verbreitet, festigt sich DanceAbility nun auch in einem seit 2011 gegründeten europäischen Netzwerk, dem ich heute auch zugehöre, zusammen mit Maja Hehlen, meiner Freundin, Fördererin und Choreographin mit der ich seit nunmehr einigen Jahren immer wieder gerne zusammenarbeite und die mir ein großes Vorbild ist. Unter ihrer Leitung gibt es das Ensemble BewegGrund nun seit dem Ende der 1990ger Jahren und wir arbeiten mit einer Gruppe von 14 Tänzerinnen und Tänzern mit und ohne Behinderung aktuell an unserem  4. abendfüllenden  Stück „dorf int‘l“ 
(Wiederaufnahme am 20.02.2014).

Maja und das Ensemble sind für mich der Anker, der mir Halt gibt in ältesten Stadt Deutschlands, in der ich mich fast genau so fremd und gleichzeitig heimisch fühle wie in meinem Geburtsland. Der Tanz mit ihnen allen, die gemeinsame Entwicklung unserer Stücke gibt mir Kraft und Inspiration. 

DanceAbility ist Empowerment das zur Eigenakzeptanz führt und darüberhinaus Stärken in jedem hervorbringt, die nur darauf warten wachgekitzelt zu werden.
So kommt es, dass ich heute jedes unserer Tanzstücke als ein Abenteuer ansehe, wundervolle Reisen in neue Gefilde ob in 2000 Metern Höhe, an der wilden Nordsee, in der Stadt oder dem Dorf.

Sea ya! - BewegGrund 2009 ©
In 2010 wachte der Mut in mir auf, nach Wien zu ziehen um selbst die Weiterbildung zur DanceAbility Trainerin bei Alito Alessi zu machen. Dank Majas Unterstützung aber auch weil ich gewachsen war, wußte ich, ich kann es schaffen, ich will dem Tanz eine neue, gefestigtere Stellung in meinem Leben geben. Das war eine wundervolle, schweißtreibende und tränenreiche Reise, die mich bis an meine Grenzen trieb und darüber hinweg. Und nach dieser intensiven Zeit mit wundervollen Menschen aus aller Welt, hatte ich mich vervollständigt, vervielfältigt –auch in beruflicher hinsicht.
Verändert hatte mich Wien und die Wiener, aber auch und vor allem  Alito, der uns mit seinem nicht immer sehr einfachen Wesen und Wissen beschenkte, mit seiner Klarheit und Wiedersprüchlichkeit mit der er sein Menschsein bewies…
  In meiner ganzen Bildungslaufbahn habe ich noch nicht so viel gelernt und so viel Leidenschaft erfahren, war ich noch nie so stolz auf das gewesen, was ich mir aneignen konnte! Ich kann sagen, das war der Beginn dessesn, was ich später ein “mein Leben ist aus der Bahn geraten” nennen sollte!

Was war dein schönstes Erlebnis? Oder schönste Erinnerung? Was hat sich dadurch für dich geändert?

Gleich nach meiner Rückkehr habe ich dann die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und eine wöchentliche AG in der integrierten Gesamtschule am Wolfsberg für ein Schuljahr geleitet. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten, vor allem, was die Wertigkeit meiner Arbeit mit den Kindern anging, entwickelte sich der Kurs. Die Renitenz der Kinder ließ nach und sie genossen es ihre Kreativität in Bewegung umzusetzen. Noch heute denke ich gerne daran zurück und danke meinen Schülern für diese tolle Zeit in der sie mich an einem Quantum ihrer Persönlichkeitsentwicklung haben teillassen!

2011 geriet mein Leben dann aus der Bahn, als mich eine Tanzkollegin für ein europäisches Projekt mit an Bord bat. Mein ehemaliger Arbeitgeber hatte dieses Projekt an Land gezogen, ein Multiplikatorenprojekt zur Verbreitung des inklusiven Tanzes in Europa. Und ich sollte mit unterrichten! Mit pochendem Herzen sagte ich zu und wurde nebst der Ausführung auch mit der Kommunikation der Teilnehmer betraut.
So erwartete ich Ende April voller Spannung die Gesichter zu den 16 Namen die bisher nur vom Papier aus auf mich blickten.
Eine Woche tanzten wir über die Grenzen Triers, trafen nebst Deutschland auf die Türkei, Lerttland, Ungarn und Irland. Ich verliebte mich gleich dreimal: in den Tanz, unsere gemeinsame Sprache und in ihn… aber das ist eine andere Geschichte. Die Lieben meines bisherigen Lebens zu vereinen, das hat mich  weggefegt und mit diesem Windstoß tanze ich seither! 

Der Tanz rief mich zum Tanz und ich folge dem Ruf seither: Deutschland, Luxemburg, Spanien, England. Ich lerne von Anderen, gebe auch selbst Workshops und leite inzwischen das Ensemble - unseren wöchentlichen Workshop zusammen mit Maja.



© by Murel 2013

Welche Ziele/Träume hast du?

Ich wünsche mir, DanceAbility in meinem Herkunftsland zu etablieren. Den Menschen dort etwas Wertvolles zu vermittel und sie in die Möglichkeiten einzuführen, welche die Methode aufzeigt.

Weiter wünsche ich mir, in meiner Ausbildung ein Stück weiter zu gehen, selbst Menschen in DanceAbility ausbilden zu können, damit sie Alitos Werk weiter tragen können – aus meiner Leidenschaft, meinen Beruf zu machen, in Anerkennung und Wertschätzung, inhaltlich wie auch künstlerisch. 
In der  “inklusiven Tanzwelt” fühle ich mich eben mit anderen Menschen, die Behinderung wird Nebensächlichleit und gemeinsamer Nenner zugleich… ich spiele in derselben Liga – 
das hat die “andere Welt” noch zu lernen und ich weiß nicht, ob sie je dahin kommen wird.

Schließlich wünsche ich mir, dass meine Passion mich irgendwann gen Süden fegt, ans Meer…         

© Anne Cherel intracities/stadtgeschichten - BewegGrund/Tufa Tanz e.V. 2011-2012


Wenn sich jemand dafür interessiert, wo kann man mehr Informationen darüber finden?

Weitere Informationen & Buchungen:

DanceAbility International:                                         http://www.danceability.com/
DanceAbility Europe:                                                        http://www.danceability.eu/
DanceAbility Deutschland auf Facebook:          

Ensemble BewegGrund Trier:                                      http://beweggrund.net/
Regio-Blog zum inklusiven Tanz:                                http://inclusivedance.blogspot.de/
Buchungen unter:                                                                messagerie_anne@yahoo.de
                                                                                                        
infoaesthesis@gmail.com
                                                                                                         tel:          +49/1622755625       

                                                                                                                         +352/621329885

Noch eine letzte Frage: du hast immer so gute Musiktipps ;-) Könntest du uns ein Paar Lieder mit auf den Weg geben?


The cinematic orchestra: Breathe https://www.youtube.com/watch?v=mmlhCC2VAXo

The hungry ghosts: I don't think about you anymore but I don't think about you anyless https://www.youtube.com/watch?v=kS9SUmAyKWM




Danke Anne für das interessante Interview und ich wünsche dir und deinem Ensemble Beweggrund weiterhin viel Erfolg .  

2 Kommentare:

  1. Ein schönes Projekt, Murel! Danke für den Link :) Ich freue mich schon auf weitere, spannende und interessante Geschichten.

    Anne wünsche ich alles Gute, weiterhin viel Erfolg und vor allem viel Spaß bei ihrer unendlich wichtigen und wertvollen Arbeit.

    Lieben Gruß
    Pamela

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    1. Danke, Pamela, für dieses wundervolle Kompliment! Vielleicht schaust du ja am 19. oder 20. in der Tufa vorbei und schaust uns zu :-)
      Dir liebe Murel, gratuliere ich zu diesem netten Blog! Ich fühle mich geehrt, diesen ersten Stein zu legen und freue mich sehr auf weitere tolle Beiträge von dir. Du bist schon 'ne ganz Tolle Liebe!

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